Bedingungslose Liebe

Bedingungslose Liebe zu unseren Tieren?!

Wir beschäftigen uns als Therapeuten so viel mit Symptomen, Laboranalysen, Diagnosefindung und Auswahl der naturheilkundlichen Therapieverfahren, dass wir oft die kleinen Hinweise und Winke am Rande nicht wahrnehmen. Jeder Tierbesitzer sagt mir, dass er sein Tier über alles liebt und alles dafür täte…

Wir beschäftigen uns als Therapeuten so viel mit Symptomen, Laboranalysen, Diagnosefindung und Auswahl der naturheilkundlichen Therapieverfahren, dass wir oft die kleinen Hinweise und Winke am Rande nicht wahrnehmen. Jeder Tierbesitzer sagt mir, dass er sein Tier über alles liebt und alles dafür täte…

Wie sieht die Realität aus? Bedingungslose Liebe für unsere Tiere?! Aber was ist dieses „alles dafür tun“, was bedeutet es in der Praxis? Manche Tierbesitzer üben einen so massiven Leistungsdruck auf ihr Tier aus, dass es dieses gar nicht aushalten kann und regelrecht zusammenbricht.

Oft kann man solche Besitzer auch gar nicht direkt darauf ansprechen, weil sie keinerlei Bewusstsein für ihre Einstellung und ihr Verhalten haben. Es ist ein langer Weg, sie zu begleiten, hin zu einem partnerschaftlichen Verhältnis mit ihrem Tier.

Da wird oft gesprochen von „Geben und Nehmen“, was bedeuten soll, dass man für das Tier etwas investiert: Geld, Zeit, Engagement, Gefühle, Verzicht auf andere Dinge und dafür aber auch gefälligst etwas haben möchte, nämlich Leistung, Gehorsam und Zuneigung.

Was ist dabei bedingungslos? Wie schnell wird ein Pferd einfach abgeschoben, weil es keine Leistung mehr bringen kann, weil es Lahmheiten hat, weil es sich irgendeine Krankheit (auch als Schutz vor Überlastung) „zugelegt“ hat, weil es die Erwartungen und Anforderungen nicht mehr erfüllen kann.

Die wenigsten Tierbesitzer machen sich Gedanken, was ihre Tiere alles übernehmen und tragen, von ihnen, von der ganzen Familie, für die sich das Tier mitverantwortlich fühlt. Sie tragen das in Liebe, in bedingungsloser Liebe!

Wir Menschen müssen uns erst klarmachen, was dies bedeutet – es bedeutet, dass wir investieren, aber keinerlei Erwartung einer Gegenleistung haben, und das in unserer ganzen uns möglichen Liebe und Zuneigung!

Wir müssen unsere Patientenbesitzer sensibilisieren, sich auch einmal in ihr Tier hineinzuversetzen. Wie fühlt es sich denn an, wenn das Pferd Besuch von seinem Reiter, der Reitbeteiligung oder sonstigen Menschen bekommt – fühlt es sich eventuell überfordert mit dem, was es jetzt tun soll?

Wie viele Pferde haben Schmerzen – beim Laufen, beim Reiten, unter dem engen Sattel, mit dem unpassenden Zaumzeug und Gebiss, mit der Einschnürung rundherum, mit erzwungener Fehlhaltung, mit den Sporen, die man ihm (um feine Hilfen geben zu können) in die Flanken bohrt, nicht zuletzt die Gerte, die nicht als Hilfe, sondern zur Bestrafung eingesetzt wird, wenn etwas nicht gleich funktioniert.

Dazu kommen unzureichende Haltungsbedingungen, immer enger werdende Räume und Freiräume. Das Tier ist seinem Besitzer absolut ausgeliefert – es ist die Aufgabe von uns Therapeuten, auf diese unzulänglichen Zustände hinzuweisen und für das Tier Änderungen einzufordern.

Und: Wissen wir es wirklich zu schätzen, wie viel Mühe sich ein Pferd gibt, um es seinem Menschen recht zu machen?! Den Familienhunden geht es nicht viel anders.

An sie werden unterschiedlichste Anforderungen gestellt, egal ob sie aufpassen sollen, egal, ob sie Hütehunde sind, Jagdhunde oder nur Schoßhunde – sie alle haben ihre Funktion und Aufgaben.
In sie wird investiert und selbstverständlich erwartet, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen.

Man holt sich mit bestimmten Vorstellungen ein Tier ins Haus oder kauft sich ein Pferd und ist unter Umständen enttäuscht, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. In manchen Fällen ist es sinnvoll, dass sich ein Mensch/Tier-Paar auch wieder trennt, wenn das Ganze nicht zusammenpasst, damit beide wieder eine neue Chance haben.

Oft kommt das Argument, dass es dem Besitzer auch nicht immer gut geht, er auch manches gerne hätte, auf das er verzichten muss, dass er einer Arbeit nachgehen muss, die vielleicht sehr belastend ist und die keinen Spaß macht – dann sollte er die Arbeit wechseln, Beziehungen klären, auf sich selbst schauen und seiner Seele auch Entspannung gönnen. Dafür darf aber nicht das Tier zuständig sein.

Ein Besitzer muss auch erst einmal die Standhaftigkeit haben, sich gegenüber Familie und Freunden zu behaupten, die nicht verstehen können, dass man zum Beispiel ein Pferd hält, das nicht mehr reitbar ist – dabei sei einmal angemerkt, dass ein Pferd nicht primär zum Reiten geboren wird, sondern einfach nur ein Pferd sein will.

Geben Sie den Besitzern folgende Anregung:

„Versetzen Sie sich als Besitzer gedanklich einmal in die Lage Ihres Tieres und nicht nur gedanklich sondern auch gefühlsmäßig“ (Komme mir keiner damit, dass Tiere keine Gefühle hätten! Die fühlen genauso wie wir Menschen.
Dass es artspezifische, genetisch bedingte Reaktionen gibt, ist dem grundsätzlichen Überlebenswillen und der Überlebensstrategie der einzelnen Tierarten zuzuschreiben, was ihnen in Gefangenschaft oft zum Verhängnis wird).

„Fühlen Sie sich ein in die Stelle, die Ihr Tier in der Beziehung zu Ihnen, zu Ihrer Familie und Freunden, und im Kontext mit anderen Tieren hat, mit denen es zusammenlebt. Versetzen Sie sich in Ihr Tier, aber ohne rosarote Brille, ohne Ihre schöngefärbten Gedanken ins Spiel zu bringen. Fühlen Sie und überlegen Sie, was würde Ihr Tier einem Artgenossen über seinen Menschen erzählen?
Lassen Sie Ihr Tier einfach fünf Minuten erzählen, wie sein Mensch tickt und notieren Sie sich alles, was als negativ empfunden wird. Mit dieser Liste können Sie arbeiten. Lassen Sie Ihr Tier erzählen und das nicht aus Menschensicht, sondern aus Tiersicht.

Sie werden sehen, Sie werden in der Folge wesentlich mehr Verständnis für seine Reaktionen, seine Eigenheiten, seine Charaktereigenschaften, seinen Lebenswillen, Überlebenswillen und seine soziale Kompetenz und Vernetzung erleben.
Arbeiten Sie an den Unzulänglichkeiten in Ihrer Beziehung und an Ihrem Weltbild über dieses Tier und gehen Sie einfach neue Wege, die sich auftun werden.

Sie müssen wissen und merken, wann Ihr Tier überfordert ist, wann es Ihnen zu liebe über seine Grenzen geht, sich bemüht, alles richtigzumachen, aber letztlich darunter leidet. Sie sind verantwortlich für Ihr Tier, niemand anderer.
Kein Therapeut der Welt kann diese Verantwortung abnehmen, die bleibt immer bei Ihnen als Besitzer“.

Ermuntern wir unsere Patientenbesitzer, sich die folgenden Fragen zu stellen:

• Wie viel Spaß hat mein Tier mit mir?
• Lasse ich ihm manche Gags einfach durchgehen und lache mit ihm darüber?
• Verzichte ich auf den absoluten Gehorsam?
• Lasse ich ihm seine Persönlichkeit?
• Was sind seine ureigenen Charaktereigenschaften?
• Hat es die Lebensbedingungen, die es braucht und die seiner Art entsprechen?

Es soll hier kein Leichtsinn geschürt werden. Der verantwortungsvolle und verantwortliche Umgang mit den uns anvertrauten Tieren ist selbstverständlich, auch die Erziehung für ein gefahrloses Leben im Alltag, aber den Spielraum, den wir haben, sollten wir auf alle Fälle nutzen!

Das Resultat ist ein gutes und schönes, liebevolles Miteinander, ist die Bindung zwischen Mensch und Tier. Das ist der magische Punkt, den man sich nicht kaufen kann, den man sich erarbeiten kann, erhoffen kann, ersehnen kann und freudig annehmen darf, wenn man dieses Geschenk bekommt.

Es ist tatsächlich ein Geschenk, wenn man merkt, dass ein Tier voller Begeisterung, weil es ihm Spaß und Freude macht, freiwillig ohne Zwang und Druck etwas nur für seinen Menschen tut, und dafür Lob und Anerkennung bekommt.

Es sind oft kleine Details, in denen der Besitzer das Glück findet. Das sind die Momente, nach denen sich jeder Tierbesitzer sehnt. So eine Verbindung geht schnell verloren, wenn es nur noch um Aktion und Reaktion geht. Auch die Beeinflussung durch Dritte, langjährige Tierbesitzer,
Vereinskollegen, Trainer und Spezialisten, erreicht oft genau das Gegenteil von dem, was man erreichen sollte.

Nur der Besitzer kennt seine Tiere am allerbesten, er weiß, wie sie ticken, er weiß, was sie gerne möchten und er weiß, was sie bereit und in der Lage sind, ihrem Menschen geben zu können.

Hören wir alle auf unsere Intuition, die uns genau sagt, was eigentlich richtig ist. Dann kommen wir dieser Liebe ohne Forderung ein großes Stück näher. In diesem Sinne: Setzen wir uns das Ziel der bedingungslosen Liebe zu unseren Tieren!

THP Anita Ruckriegel
Atropa Akademie Augsburg

Aus der Verbandszeitschrift des Internationalen Tierheilpraktikerverbandes e.V. „tierisch geheilt“ | Ausgabe I/2020

Teile diesen Beitrag